Dietrich Schulze-Marmeling, Trainer: Die wichtigsten Männer im Fußball

Schwächstes Glied in der Kette?

Von Claus Melchior

 

Kein Jahr ohne ein neues Buch von Dietrich Schulze-Marmeling. Heuer sind es bereits deren zwei, denn er zeichnet zusammen mit Bernd-M. Beyer auch als Ko-Autor von Boykottiert Katar 2022! Warum wir die FIFA stoppen müssen, dem Buch zur Anti-WM-in-Katar-Kampagne, zu der sich die beiden Autoren im Interview in der #99 des Tödlichen Pass bereits ausführlich geäußert haben. Das Buch bündelt die Informationen, die man zu diesem Turniers haben sollte, in konzentrierter Form und sei deshalb auch jenen wärmstens empfohlen, die einen Boykott nicht für ein probates Mittel halten, mit der Vergabe der WM nach Katar jedoch nicht glücklich sind. Und natürlich auch all jenen, die schlichtweg mehr über dieses Thema erfahren wollen.

An dieser Stelle allerdings soll es um eine neue Monografie gehen, in der Schulze-Marmeling sich zur Aufgabe gestellt hat, die Geschichte des Trainerberufs im Fußball zu erzählen, und zwar sowohl mit Blick auf die Personen, die diesen Beruf geprägt haben, als auch die taktischen Entwicklungen, denen sie den Weg bereitet haben. Trainer gelten ja allgemein als das schwächste Glied der Kette (welche Kette soll das eigentlich sein?); Schulze-Marmeling hält sie für die wichtigsten Personen im Verein.

Entstanden ist eine kompetente und faktenreiche Darstellung, die hervorragend als Einstieg in die Materie geeignet ist; angefangen mit den britischen Trainern, die im frühen 20. Jahrhundert auf dem Kontinent Pionierarbeit leisteten, über die ungarischen und österreichischen Trainer, die die Schule des Donaufußballs in ganz Europa verbreiteten, zu den bedeutenden Holländern wie Rinus Michels und über allen Johan Cruyff, zu den großen Schotten – Busby, Shankly, Stein, Ferguson –, die den britischen Fußball prägten, usw. usf., bis zu den Koryphäen des Gegenwartsfußballs – namentlich Pep Guardiola und Jürgen Klopp.

Alles gut zu lesen, wobei sich allerdings nicht leugnen lässt, dass sich für den Kenner des umfangreichen Gesamtwerks von Dietrich Schulze-Marmeling doch das eine oder andere Déjà-vu-Erlebnis einstellt, denn zahlreiche Elemente dieser Darstellung wurden vom Autor schon an anderer Stelle thematisiert. Völlig nachvollziehbar, den Schwerpunkt auf Trainer zu legen, die durch innovative Ideen die Entwicklung des Fußballs vorangetrieben, aber vielleicht wäre es angebracht gewesen, den Fokus ein wenig weiter zu ziehen. Bundesligatrainer der 1960er z.B. spielen insgesamt keine große Rolle, Hennes Weisweiler natürlich und auch Tschik Cajkovski und Branko Zebec als Vertreter der jugoslawischen Trainerzunft, die zunehmend im deutschen Fußball Fuß fasste.

Warum aber nicht Max Merkel, nach Titeln der in Deutschland erfolgreichste Trainer des Jahrzehnts, der eine wahrlich bemerkenswerte Karriere vorweisen kann. Er hat im heimischen österreichischen Fußball noch mit Ernst Happel zusammengespielt, arbeitete in den Niederlanden, wo er im Jahre 1956 die Elftal beim Sieg gegen die deutsche (besser: westdeutsche) Nationalmannschaft betreute, führte dann Borussia Dortmund ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, holte mit den Münchner Löwen Pokal und Meisterschaft und erreichte zudem ein Europapokalfinale, Erfolge, von denen der Verein bis heute zehrt; dann auch noch Meistertitel mit dem 1. FC Nürnberg und Atletico Madrid. Sicher, er war kein großer Taktiker und innovativ allenfalls bei der Professionalisierung des Fußballbetriebs in seinen Klubs, als so genannter "Schleifer" aber ein damals durchaus gefragter und nicht unüblicher Trainertyp. Warum also nicht diesem Kontrastprogramm ein wenig Raum einräumen?

Bemerkenswert auch, dass ein Zinedine Zidane nur zweimal ganz nebenbei und nicht in seiner Funktion als Trainer von Real Madrid Erwähnung findet. Auch Zidane ist kein Neuerer und als Trainer sicherlich weit weniger bedeutend als Klopp und Guardiola. Aber er hat mit Real die Champions League gewonnen und das gleich dreimal in Folge, außerdem zwei spanische Meistertitel. Zudem ist er einer der ganz wenigen, die als Spieler zu den allerbesten gehörten und als Trainer Erfolg haben. (Natürlich war auch Pep ein bedeutender Spieler, aber sicherlich kein Zidane.) Auch hier also ein interessanter Kontrast zu den anderen großen Trainerpersönlichkeiten der Gegenwart.

Natürlich steht es dem Rezensenten nicht an, dem Autor vorzuhalten, welches Buch er hätte schreiben sollen, und so sind diese Anmerkungen auch nicht gemeint. Schulze-Marmeling konzediert in seiner Einleitung selbst die Subjektivität seiner Auswahl. Aber der Rezensent hätte sich, ebenfalls ganz subjektiv, über solche Ergänzungen zu den vielen bekannten Versatzstücken gefreut.

Unabhängig davon spannt der Autor – wie bereits angemerkt – einen weiten historischen Bogen und bietet damit eine anregende Lektüre. Pflichtlektüre für den gesamten Fußballbetrieb, Medien und Fans ausdrücklich eingeschlossen, sollte jedoch die Einleitung sein, in der Schulze-Marmeling die Position des Trainers im heutigen Profifußball einordnet und dabei nicht mit unangenehmen Wahrheiten spart zu Themen wie mangelnder Konstanz in der Vereinspolitik, Sündenbocksuche, Klick-Journalismus und Schwarz-Weiß-Berichterstattung. Ein fulminanter Einstieg in ein lesenswertes Buch.

 

Dietrich Schulze-Marmeling, Trainer: Die wichtigsten Männer im Fußball (Bielefeld: Verlag Die Werkstatt, 2021, € 29,90).

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Für Interessenten auch die bibliografischen Angaben zum erwähnten Boykottaufruf in Sachen Katar:

Bernd M. Beyer / Dietrich Schulze-Marmeling, Boykottiert Katar 2022! Warum wir die FIFA stoppen müssen (Bielefeld: Verlag Die Werkstatt, 2021, € 12,90).

 

Und allen, die nachlesen möchten, wie der Trainer Jürgen Klopp in Liverpool eine Meistermannschaft geformt hat, dem sei das reich bebilderte und durchgehend in Rot gehaltene Buch von Dietrich Schulze-Marmeling aus dem Vorjahr empfohlen, eine schöne Ergänzung zu seiner 2019 erschienen Vereinsgeschichte der Reds:

Dietrich Schulze-Marmeling, Klopps Liverpool (Bielefeld: Verlag Die Werkstatt, 2020, € 24,90).

26. Mai 2021


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