Als im Europapokal noch kleine Vereine eine faire Chance besassen
Von Fabian Brändle
Klar, auch heutzutage schaffen Aussenseiter im Europapokal noch handfeste Überraschungen: Atalanta Bergamo aus der Lombardei beispielsweise, früher Valencia oder Alaves aus Spanien. Gross ist die Freude der Neutralen, wenn der Underdog dem vermeintlichen Favoriten ein Bein stellen kann, so dass die Bayern, Manchester City oder gar Real Madrid schändlich aus dem Wettbewerb ausscheiden müssen. Doch meistens währt die Schadenfreude nicht allzu lange: In der nächsten Runde warten nämlich Paris SG, Liverpool, Barcelona oder Juventus mit weiteren Weltauswahlen, die dann den vermeintlichen Drachentöter nach Hause schicken. Und wieder stehen dieselben vier Vereine im Halbfinale. So kommt es einem jedenfalls vor: Langeweile. Pur. Gähnen. Außer in den Reihen jener Fussballans, die im modernen Geld-Fussball nicht Walhalla erblicken.
Der Modus mit Gruppenspielen bevorzugt zudem die Grossen. Ist es in zwei Spielen noch eher möglich, eine Sensation zu kreieren, so erscheint das Unterfangen auf lange Dauer hoffnungslos. Dundalk, Düdelingen oder der FC Lugano scheitern schon chancenlos in der Vorrunde. Dabei hat Lugano einmal den mächtigen Nachbarn Internazionale Mailand eliminiert, durch ein Weitschusstor des kleingewachsenen Edo Carrasco im eigenen Kleinstadion „Cornaredo“. Tempi Passati.
Natürlich gab es auch in früheren Europapokalzeiten jede Menge klare Favoritensiege. Barcelona, Milan, Inter der BVB, Benfica waren schon damals meistens eine Klasse für sich. Doch stellten ihnen manchmal Kleine ein Bein, Kleine, die anschliessend bis ins Finale vordrangen. Aus Ländern auch, die heutzutage im besten Fall noch als Nachschublieferanten für Premier League und Bundesliga dienen, aus Schottland, aus Korsika (Frankreich), aus Ungarn (Videoton Stuhlweissenburg) oder aus Schweden (IFK Göteborg, Malmö FF).
Selbst relativ bescheidene Schweizer Vereine erreichten anno dazumal immerhin viermal die Halbfinals eines europäischen Pokals: Zweimal der FC Zürich im Meistercup (FCZ gegen Real Madrid und gegen den FC Liverpool), einmal die Grasshoppers Zürich GC (GC gegen Bastia) im UEFA Cup, dann, jüngeren Datums, der Ligakrösus FC Basel in der Europa League. Nachbar Österreich stellte sogar drei Finalisten, nämlich Rapid, die Austria, auch Austria Salzburg (der ungleich sympathischere Vorgängerverein von Red Bull).
Man darf freilich nicht vergessen: Vor dem „Bosman“-Urteil waren in Europa maximal lediglich zwei oder drei Ausländer pro Club zugelassen. Der Rest des Kaders bestand aus Landsleuten, auch aus lokalen und regionalen Talenten. Der genaue Beobachter konnte noch deutlich nationale Stile erkennen und unterscheiden. Die Italiener mauerten und nutzten beinahe jede Chance eiskalt aus, die Schotten rannten, tackelten und köpften, die Franzosen und die Jugoslawen dominierten das Mittelfeld. Die Portugiesen waren verspielt, aber wenig effizient. Und die Deutschen gaben niemals auf und trafen in der 91. Minute… Vorurteile wie bei Asterix und Obelix? Mag sein, aber in so manchem Stereotyp steckt ein Körnchen Wahrheit, dies anerkennen sogar die kritischsten Sozialwissenschaftlerinnen wie die amerikanische Ethnologin Mary Douglas („Constructive Drinking“).
Lassen Sie mich an zwei unvergessene, gloriose Mannschaften unter vielen anderen erinnern, die, perfekt gecoacht, bis in ein europäisches Finale vordrangen:
Der Dundee United Football Club stand stets im Schatten der Grossvereine Glasgows, obwohl er immerhin 22-mal an europäischen Turnieren teilgenommen hat. Im Jahre 1909 von der katholisch-irischen Diaspora in der Industriestadt Dundee in den Lowlands gegründet, hat sich der Club in der eigenen Stadt im „Dundee Derby“ mit dem ungefähr gleichstarken FC Dundee auseinanderzusetzen. Stadion ist der Tannadice Park mit rund 15.000 Plätzen. Im Jahre 1983 wurde Dundee United schottischer Meister. International bekannt wurde der Club, nachdem er in der Saison 1986/86 erst das Endspiel des UEFA-Pokals gegen den IFK Göteborg verloren und auf dem Weg dorthin unter anderem den grossen FC Barcelona eliminiert hatte. Das Kollektiv aus Dundee um Eric Malpas war ungemein kampfstark und athletisch gut ausgebildet.
Früher noch als Dundee United war der Sporting Club (SC) Bastia aus Korsika berühmt geworden. Die Mannschaft aus der Ferieninsel mit Unabhängigkeitsdrang gelangte in den 1970er Jahren ins Finale des UEFA-Pokals. Unter Trainer Pierre Cahuzac und mit Starspielern wie dem schon älteren Dragan Dzajic (Jugoslawien), Pierre Papi und Johnny Rep (Niederlande) besetzt, wurden unter anderem die Grasshoppers Zürich im Halbfinale ausgeschaltet, ehe im Finale ein weiterer Aussenseiter, der FC Twente Enschede aus den Niederlanden, eine Nummer zu gross für die Korsen war. Der SC Bastia war zwar mit einigen Stars bestückt, doch kamen auch waschechte Korsen zum Einsatz. Und quasi als zwölfter Mann agierte das fanatische Publikum, welches das Team im Kleinstadion nach vorne peitschte.
Juli 2020
webmastered by DER TÖDLICHE PASS dertoedlichepass[at]gmx.net