BRÄNDLES BALLBERICHT


 

Die heulenden Wölfe

Aufbruch und Abbruch bei der Schweizer Nationalmannschaft der 80er Jahre

 

Von Fabian Brändle

 

Zugegeben, er hatte schon etwas von Wilhelm Tell: die kräftige Statur, dann vor allem den nicht immer ganz gepflegten Vollbart. Der Luzerner Paul Wolfisberg sollte die Nationalmannschaft aus ihrem anhaltenden Tief führen und endlich wieder, Jahrzehnte nach der WM 1966 in England, an ein grosses internationales Turnier führen. Nun, unter Paul Wolfisberg sollten die „Wölfe“, wie sie vom Boulevardblatt „Blick“ bald reisserisch genannt wurden, tatsächlich einige Fortschritte machen, zumindest resultatsmässig. Doch wurden die Qualifikationen für Endrunden trotzdem, wenn auch knapper als zuvor, verpasst.

Höhepunkt der Ära Wolfisberg war mit Sicherheit der 2-1 Sieg gegen England 1981 im ausverkauften Wankdorf durch Tore Claudio Sulsers und Fredy Schweiwilers nach einem genialen Aussenristpass in die Tiefe von Sulser. Die Qualifikation zu den Weltmeisterschaften in Spanien von 1982 schien nun zum Greifen nahe, wurde aber in Budapest gegen Ungarn mit einer sang- und klanglosen 0-3 Niederlage verspielt. Die Rotjacken waren wieder einmal alles andere als bereit, als es wirklich um die Wurst ging.

Der Innerschweizer Architekt und ehemalige FC Luzern-Spieler Paul Wolfisberg setzte seinem Naturell entsprechend auf Kampffussball, auf Athletik, Physis und, in erster Linie, auf gnadenlose Härte. Wolfisberg berief in der Regel sieben bis acht Hopper, unter ihnen stets die Alphawölfe Andi Egli, Heinz Hermann und Roger Wehrli, den limitierten Mittelfeldspieler, dem er stets den Vorzug vor den ungleich eleganteren, technisch beschlagenen Servettiens Marc Schnyder, Michel Decastel oder Lucien Favre gab. Immerhin: der gelernte Maurer Wehrli, später als Trainer allüberall gescheitert, war ein Spezialist für ruhende Bälle, die er in den Strafraum drehen konnte.

Hinten verteidigten zum Teil brutal Egli, der beinharte Oberwalliser Hopper, Aussenverteidiger und Knochenbrecher Charly In-Albon, ebenfalls zumindest gegen vorne schwer limitiert, Herbert Hermann, der Bruder von Heinz Hermann, der sich früh schwer verletzte und seine Karriere abbrechen musste, der FCZler Heinz Lüdi, immer gut für ein spektakuläres Eigengoal, oder der offensiv begabte „Puncher“ Marco Schällibaum.

Neben Rekordnationalspieler Heinz Hermann spielten Monacos „secondo“ Umberto „Bertine“ Barberis im Mittelfeld, dann im offensiven Bereich Raimondo Ponte, der bereits genannte Maurer und Rotschopf Roger Wehrli, zudem der Wandervogel Fredy Scheiwiler. Vorne schliesslich war einzig der Dribbler und Techniker Claudio Sulser gesetzt. Je nachdem liefen noch Hopper Martin Andermatt, der Servettien Angelo Elia, Ruedi „Turborudi“ Elsener, Dominique Cina, der Xamaxien Robert Lüthi, der Basler Flankengott Claude „Didi“ Andrey oder der Tessiner Haudegen und gefürchtete Weitschütze Giampietro Zappa auf.

Viele der genannten Akteure schonten die Knochen der Gegenspieler nicht. Damals brauchte es noch viel brutalere Fouls als heutzutage, bis man endlich verwarnt wurde, davon profitierte die schweizerische „Abbruch GmbH“. So manche Blutgrätsche blieb unbestraft. So waren denn auch Platzverweise noch eine Seltenheit. Ich mag mich denn auch an keine Rote Karte eines Schweizer Nationalspielers aus dieser Zeit erinnern. Die „Wölfe“ sollten kämpfen wie einst die Alten Eidgenossen in Morgarten oder in Sempach. Sie erinnerten an die wehrhaften, tapferen hellebardenbestückten eidgenössischen Hirtenkrieger, die jedes besser bewaffnete Ritter- und Berufsheer in die Flucht geschlagen hatten. So wollten es jedenfalls die Propagandakampagnen der Ringier-Presse.

Gegen Teams, die physische Härte mit derselben Münze heimzahlten, wie beispielsweise das aus der DDR, aus Schottland oder Belgien, setzte es nach wie vor teilweise herbe Niederlagen ab. Andere Mannschaften zeigten sich durchaus ein wenig eingeschüchtert von der Kompromisslosigkeit der „Wölfe“, so die technisch beschlagenen Rumänen, die man in deren Hauptsadt Bukarest auswärts sensationell auszukontern und mit 2-1 zu schlagen vermochte. Das entscheidende Tor erzielte per Abstauber der Goalgetter Robert Lüthi von Xamax Neuenburg.

Man muss indessen zur Ehrenrettung Paul Wolfisbergs und seiner Mannen von Guttannen anfügen, dass damals, im Jahre 1982, erst 16 Teams zur WM fuhren durften. Entsprechend stark waren die einzelnen Quali-Gruppen besetzt. Auch die Mannschaften aus dem kommunistischen Ostblock waren damals ungleich stärker besetzt als heute. Es gab ja bekanntlich nur eine Sowjetunion und nur ein Jugoslawien, und Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn gehörten zur erweiterten Weltspitze.

Die Schweizer Gruppe von 1982 umfasste damals unter anderem England, Ungarn, Rumänien. Das war natürlich schwer verdaubare Kost. Bei den Qualifikationsspielen zur WM 1986 in Mexiko warteten dann unter anderem Dänemark, das zuhause durch ein schönes Tor von Umberto Barberis besiegt werden konnte, und die an sich übermächtige Sowjetunion als Favoriten. Gegen die Sowjets glich Andy Egli kurz vor Schluss zum verdienten Unentschieden aus und sorgte für eine Euphorie unter den vielen treuen Fans der „Nati“.

Die Schweiz war natürlich nicht in den Töpfen eins oder zwei gesetzt, sondern allenfalls im Topf drei als krasser Aussenseiter. Sie musste also mindestens einen klaren Favoriten aus dem Feld schlagen, um in der äusserst diffizilen Gruppe zu reüssieren. Und das war für die eidgenössischen Halbprofis praktisch unmöglich, denn die Vollprofis oder „Staatsamateure“ aus West und Ost waren den Schweizer Kickern technisch, taktisch und konditionell meistens überlegen.

Zudem war die Anzahl der Ausländer vor dem Bosman-Urteil auf einen bis zwei Spieler limitiert. Nur Umberto Barberis vermochte sich in Frankreich wirklich durchzusetzen, Raimondo Ponte scheiterte in Nottingham und in Bastia, Andy Egli in Dortmund, das damals noch nicht so stark war wie heute. Kürzere Auslandserfahrungen sammelten auch Rene Botteron in Köln und in Lüttich, Michel Decastel, Lucien Favre bei Toulouse (TFC), Ruedi Elsener und der kleingewachsene Luzerner Kämpfer Kurt „Kudi“ Müller bei Hertha BSC Berlin. Im Gegensatz zu heute spielte der Grossteil der Nationalspieler im relativ beschaulichen Inland und nicht in der ungleich härteren und schnelleren Bundesliga, in der Serie A oder in der Premier League.

Paul Wolfisberg und seine „heulenden Wölfe“ versuchten es mit Wucht, Disziplin, Defensivspiel und physischer Härte. Sie sind letztlich trotz Protektion des Boulevards gescheitert, sorgten aber nach langen Jahren der Tristesse immerhin für volle Stadien und für einige positive Resultate.

Paul Wolfisbergs Nachfolger war der eher intellektuelle, introvertierte und sensible Romand Daniel Jeandupeux, einst ein herausragender und technisch versierter Stürmer beim FC Zürich, der eine neue, taktischere, raffiniertere und technischere Note ins Spiel der „Nati“ einbrachte und auch eher spielerisch begabte Welsche wie Michel Decastel oder Lucien Favre in die „Nati“ berief, letztendlich aber sowohl am Druck der Boulevardmedien als auch an der andauernden Erfolgslosigkeit scheiterte.

 


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