BRÄNDLES BALLBERICHT


  

Darüber reden

Warum ein Fussballspiel immer Gesprächsstoff bietet

 

Fabian Brändle

 

Bereits für das ausgehende 19. Jahrhundert gibt es einige Quellen, die belegen, wie Fussballfans in Leicester nach dem Spiel gerne über den Match gefachsimpelt haben. Der eine Fan war mehr als enttäuscht von der Abwehr, der andere kritisierte vehement den Sturm. An diesem kommunikativen Verhalten hat sich bis heute wenig geändert, trotz modernem Videobeweis und viertem Offiziellen.

Fussball ist Reden über Fussball. An Prestige gewinnt, wer Statistiken auswendig kennt und ad hoc zum Besten geben kann. Vergleiche mit früheren, epischen Spielen sind stets willkommen: Unser nigerianischer Goalie „Ike“ Shorumnu ist zwar gut, aber war nicht Marco Pascolo auf der Linie noch ein wenig besser? Und wie steht es mit dem neuen Transfer aus Georgien, Gotcha Jamarauli? Ein trefflicher Techniker, gewiss, aber kann er auch kämpfen … und schiessen?

Die dritte Halbzeit bei Bier oder Kaffee und Schnaps hat es in sich. Da wird analysiert, theoretisiert, was das Zeug hält. Das System mit drei Verteidigern sei insgesamt „Chabis“ (Unsinn), man stehe hinten viel zu offen da, so der eine. Das sei eben moderner Fussball, kontert sein bereits vom Alkohol erhitztes Gegenüber. Systeme würden sich verändern im Laufe der Zeit, sehr rasant sogar, das Mittelfeld sei nun einmal die am heissesten umkämpfte Zone des gesamten Spielfelds. Aber könne der neue, noch unerfahrene Trainer aus der Westschweiz dieses neue System auch den Spielern vermitteln, so die nächste bange Frage. Das sei eben fraglich, er sei indessen auch für einen Trainerwechsel, und zwar subito.

Immerhin seien bei diesem an sich tristen Match zwischen dem FC Zürich und dem FC Thun zwei junge Spieler aus der clubeigenen „Academy“ äusserst positiv aufgefallen, das sei doch ein sehr gutes Zeichen für die hervorragende professionelle Nachwuchsarbeit des Vereins. „Ja, aber normalerweise verlassen diese Junioren-Juwelen den Club binnen zweier Jahre in Richtung Deutschland, England oder Italien.“ „So ist das nunmal im regierenden Kapitalismus, das Vorrecht des Stärkeren eben, immerhin werden die eingeheimsten Transfersummen einige Millionen in die notorisch leeren Clubkassen spülen.“ Zu wenig, leider. Wenn man die Talente drei bis vier Jahre halten könnte wie der ungleich reichere FC Basel, dann gäbe es richtig viel Geld, wie damals für Riccardo Rodriguez oder für Blerim Dzemaili.

So kann das stundelang weitergehen. Einig wird man sich selten, Fussball reizt zu Widerspruch und Gegenargument. Jeder will dabei Fachmann, Experte sein. Die Kommunikationsstruktur ist agonal, bis man sich endlich versöhnt in den Armen liegt und gemeinsam ein sentimentales Lied anstimmt: „So wie einst Real Madrid, so wie Eisen und Granit.“ Und noch ein Bier bestellt. Und weiter fachsimpelt.

Vieles bleibt freilich Spekulation: Hätte Christian Schneuwly diese Chance genutzt in der siebten Minute... Doch die Spieler „Hätte“, „Wenn“ und „Aber“ wurden einmal mehr nicht eingewechselt. Genauso wie Bühlmann, der einstige, teure Hoffnungsträger aus der Nationalmannschaft, der sich niemals so richtig durchsetzen konnte. Auch seine Baisse, seine drohende Relegation in die zweite Mannschaft gaben viel zu reden.

Fussball ist eben auch immer: Reden über Fussball.

 


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